Jesus, der gute Bademeister

Predigt zu Lk 17,20-24
 

Exordium

Rattenfänger. Rattenfänger nicht nur in Hameln, sondern an allen Orten prophezeit uns Jesus: "Es werden Tage kommen, da werdet ihr begehren einen der Tage des Menschensohnes zu sehen, und ihr werdet nichts sehen. Und sie sagen zu euch: "Siehe hier, siehe dort!"

Narratio

Nun, diese Tage sind gekommen. Jesus ist gegangen und seit fast zweitausend Jahren können wir ihn nicht mehr sehen. Gekommen sind die Rattenfänger. Menschen, die sagen: "Siehe hier, ich bin der Messias" oder "siehe dort, ich schaffe euch den Himmel auf Erden." Da gibt es einen sogenannten Referend. Den Herren Sun Myung Mun, der von sich behauptet das Werk Jesu fortzuführen. Der neue Messias zu sein, nachdem der alte Messias am Kreuz gescheitert ist. Da gibt es die Scientologen, die uns versprechen zu übermächtigen Übermenschen zu Tetanen zu werden, wenn wir nur die Störungen aus unserem früheren Leben auslöschen, wenn wir clear werden. Da gibt es aber auch Politiker, die uns den Himmel auf Erden versprechen, wenn wir ihre Partei wählen, ihre Ansichten teilen, ihren Lehren folgen. Um solche Aussagen zu finden müssen wir nicht in die Zeit der großen Ideologien zurückgehen, als Faschismus und Kommunismus unsägliches Leid über die Welt brachten. Es genügt, wenn wir in die jüngste Vergangenheit blicken. Wo vom endgültigen Sieg des Kapitalismus gesprochen wird, als bräche eine neue Heilszeit an. Wo ein George Bush der Welt eine neue Ordnung verspricht und doch nur einen lokalen Krieg damit begründet. Ob dieser Krieg, ob der zweite Golfkrieg gerecht war und zu rechtfertigen ist, will ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Hier und heute aber ist der Platz das pseudoreligiöse Pathos mancher Politiker anzuprangern, das wir auch in Deutschland finden: Wenn von blühenden Landschaften gesprochen wird und die D-Mark zum Heilsbringer avanciert. Aber auch wenn die alleinseligmachende Ökosteuer alle unsere Probleme in Ökologie und Okonomie lösen soll. Immer dann, wenn politische Rezepte als Patentrezepte verkauft werden, sollten wir vorsichtig sein. Denn jedes Problem, das gelöst wird, erzeugt normalerweise ein neues. In der Komplexität unserer heutigen Gesellschaft hat jede politische Entscheidung vielfältige Auswirkungen, die beim besten Willen nicht alle vorhersagbar sind. Die Politik bleibt daher immer ein Spiel von Versuch und Irrtum, indem verschiedene Konzepte miteinander streiten, mal das eine ausprobiert, mal das andere durchgeführt wird, und die Folgen der politischen Entscheidungen wieder zur Grundlage neuer Korrekturen werden.

Was verlockt nun unsere westlichen Politiker, die normalerweise nüchtern ihre Arbeit versehen und sich quer durch alle Parteien aufrichtig um das Wohl unseres Landes bemühen. Was verlockt nun diese Menschen in Wahlkampfzeiten immer wieder zu behaupten, daß sie und nur sie alle Probleme lösen könnten. Was verlockt sie zu diesen fast religiösen Aussagen?

Die Antwort ist einfach, wirft jedoch sofort die nächste Frage auf. Die Antwort lautet: Daß es funktioniert. Es bringt schlichtweg Wähler- und Wählerinnenstimmen. Doch damit wird sofort die nächste Frage aufgeworfen: Warum funktioniert es? Warum sind wir gegen jede Erfahrung immer wieder bereit diesen Aussagen zu glauben? Zugespitzt und prekär wird diese Frage, wenn wir den Bereich der Politik wieder verlassen, wo es um den harmlosen Fang von Wählerstimmen geht und uns wieder den Rattenfängern der Sekten oder den Rattenfängern des Wirtschaftskonzerns Scientology zuwenden. Warum sind Menschen bereit ihr bisheriges Leben aufzugeben. Freunde zu Verlassen, Familien zu zertrennen, all ihr Geld, ihre Zeit und ihre Energie dubiosen Organisationen zu opfern?

 

Argumen-tatio

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Um sich einer Antwort anzunähern will ich Ihnen von den letzten drei Wochen meines Lebens erzählen. In dieser Zeit war ich als Klinikseelsorger in einem Nürnberger Krankenhaus unterwegs. Ich ging von Zimmer zu Zimmer, von Bett zu Bett, von Mensch zu Mensch. Bot den Patienten Gespräche an über ihr Leben, ihre Krankheit und auch über den Tod. Manche lehnten dieses Angebot ab, andere nahmen es bereitwillig an. Dabei erfuhr ich vieles über ihre Krankheiten und über ihre Ängste. Ich sah Patienten, deren Leidensgeschichte oft mit leichten Beschwerden begann, die dann als Krebs diagnostiziert wurden. Patienten, die zuerst bestrahlt und dann doch operiert wurden. Patienten, die schließlich auf meiner Station landeten, weil bei Ihnen auch noch Diabetes diagnostiziert wurde. Als ob der Krebs nicht genügte. Ich sah Patienten, die hilflos im Bett lagen, unfähig sich aufzurichten, geschweige denn sich selbst zu waschen. Ich sah Patienten, die keinen Besuch bekamen und deren einzige Zukunftsperspektive die Rückkehr ins Pflegeheim war. Ich sah die Krankheit und das Leiden, und ich erschrak über diese Welt des Todes.

Am Wochenende hatte ich frei und besuchte ein befreundetes Ehepaar. Der Mann hatte gerade sein Examen bestanden, für das er über ein Jahr gearbeitet hatte. Was ihn jedoch noch viel mehr freute war seine kleine Tochter, die jetzt fast ein halbes Jahr wird. Fröhlich lag sie auf der Krabbeldecke, spielte mit einem Holzring, in dem weitere Holzringe befestigt waren. Übte fleißig an ihrer neuesten Fähigkeit, sich vom Rücken auf den Bauch zu drehen. Manchmal brabbelte sie vor sich hin und die gespannten Eltern horchten, ob da nicht ein Mama oder Papa dabei wäre. Wenn es ihr richtig gut ging, dann jauchzte sie bisweilen, wenn man sie herzte, lachte sie über das ganze Gesicht und freute sich mit ihrer ganzen Person. Und ich freute mich über diese Welt des Lebens.

Am Montag war ich wieder in der Klinik. Und inmitten des Leides entdeckte ich auch dort manche Freude. Patienten, die mir mit lachenden Augen entgegenkamen und erzählten, daß sie entlassen werden. Andere, die dankbar von der Fürsorge der Schwestern und Pfleger berichteten. Auch begegnete ich dort alten Menschen, die auf Ihr Leben zurückblickten und alles wieder genauso machen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu bekämen.

Verschwiegen sei auch nicht - und viele von Ihnen werden es aus eigener Erfahrung wissen - daß beim Aufziehen eines Kindes neben den fröhlichen Stunden auch manche Belastung die Eltern erwartet. Nächte, die viel zu Kurz sind. Tage, an denen das Baby ohne jeden ersichtlichen Grund unleidig ist, immer wieder weint und sich durch nichts beruhigen läßt. Tage in denen man ratlos vor dem Kind steht und ihm halb scherzend zuruft: "Sag halt was Dir fehlt" und dabei doch weiß, daß keine Antwort kommen wird.

So ist Kindererziehung immer wieder ein Wechselbad der Gefühle. Und so war mein Leben in den letzten Wochen ein Wechselbad der Gefühle. Und ich denke, auch wenn Tod und Leben nicht immer so dicht gedrängt uns ins Auge springen, uns anspringen, so tauchen sie uns doch alle ein in das Wechselbad des Lebens.

Ein Eintauchen, dem wir uns nicht entziehen können. Manche sagen, daß Wechselbäder etwas belebendes haben, doch andere befällt die Angst, wenn sie in der kalten Wanne sitzen. Angst hier nie mehr heraus zu kommen. Nicht nur einzutauchen, sondern unterzutauchen, unterzugehen und nie mehr die Oberfläche zu erreichen. Wieder andere sitzen in der warmen Wanne, blicken auf den kalten Bottich und es graut sie davor dort hineinzusteigen. Und dann kommt ein Mensch, der wie ein Bademeister gekleidet ist, und behauptet man könne die kalte Wanne meiden. Man müsse einfach nur in seine Wanne steigen, die immer warm und wohlig bleibt. Was für eine Verlockung. Einfach aufstehen, in seine Wanne steigen und nie mehr frieren. Nie mehr Angst haben vor den kalten Becken, sich nie mehr den kalten Wassern aussetzen. Und wir folgen ihm, steigen in seine Wanne, die sich wirklich warm und wohlig anfühlt. Und wir sitzen und wir sitzen. Und langsam, ganz langsam kühlt sich das Wasser ab. Unmerklich Grad für Grad wird es kälter. Und wir sitzen und merken es nicht. Das Wasser wird kälter und kälter und wir sitzen immer noch und werden ganz starr. Irgendwann sind wir so starr, daß wir die Wanne nicht mehr aus eigener Kraft verlassen können. Wir sitzen fest in der Wanne des Bademeisters, der uns belogen hat. Wir wollten Wärme und sind in der Kälte erstarrt.

Vielleicht haben wir aber auch Glück und treffen nicht einen lügnerischen, sondern einen guten Bademeister. Einer, der nicht außen am Beckenrand stehen bleibt und uns gute Ratschläge gibt, sondern seine Badehose anzieht und uns ins kalte Becken begleitet. Vielleicht haben wir noch mehr Glück und treffen nicht nur einen, sondern den guten Bademeister. Den, der uns begleitet ins kalte Becken. Ins eiskalte Becken. Den, der untergeht, ertrinkt und als wir schon alle Hoffnung verloren hatten, plötzlich wieder auftaucht. Den, der uns zeigt, daß wir vor dem kalten Becken keine Angst haben müssen, da er auch das kälteste der kalten Becken, den Tod überwunden hat.

Liebe Gemeinde ich hoffe sie verzeihen mir, daß ich hier von Jesus als dem guten Bademeister spreche. Aber Bademeister ist ein ehrenwerter Beruf. Mindestens genauso ehrenwert wie der Beruf eines Hirten. Und im Gegensatz zu all den Rattenfängern, die uns zurufen: Komm zu uns ins warme Becken. Du wirst nie mehr frieren. Wir haben die Lösung und sie ist ganz einfach. Im Gegensatz zu den Rattenfängern bleibt er nicht außen vor. Er stellt sich nicht neben unser Leben und sagt uns was wir tun und lassen sollen. Er begibt sich in unser Leben. Als Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit lebend, wird er Mensch mit allen Konsequenzen. Steigt hinab in unser Wechselbad des Lebens. Er liebt, lebt und leidet mit uns. Um am Ende auch mit uns zu sterben. Doch der Tod hat nicht das letzte Wort. Drei Tage nach seinem grausamen Kreuzestod erscheint er seinen Jüngern und Jüngerinnen. Kündet davon, daß die Liebe Gottes letztlich alles überwinden kann, auch den Tod. Und er verspricht zweierlei. Er verspricht bei uns zu bleiben bis ans Ende der Zeit. Und er verspricht, daß die Zeit irgendwann ein Ende hat. Eine Ende, indem alles Leiden überwunden wird, ein Ende indem Lahme gehen, Blinde sehen und wir alle in Ewigkeit leben werden. Ein neuer Himmel und eine neue Erde werden entstehen und die Herrlichkeit des Herrn wird vor aller Augen sein. Wenn es soweit ist, wenn er, der Menschensohn zurückkehrt, wird es keinen Zweifel mehr geben. So sichtbar, wie ein Blitz am Nachthimmel aufleuchtet, so sichtbar wird seine Wiederkehr auf Erden sein.

 

Peroratio

Bis dahin aber werden wir warten und hoffen und nichts und niemand wird uns vor den Wechselbädern des Lebens bewahren. Nur eines können wir gewiß sein: Auch das kälteste und dunkelste Naß hat keine Macht mehr über uns. Denn Jesus Christus, der uns am Kreuz erlöst hat und in der Auferstehung voranging, ist bei uns. Wir erleben ihn in Brot und Wein beim Abendmahl. Wir hören sein Wort im Gottesdienst und werden nachher sein Gebet sprechen. Aber auch im Alltag, gerade dort, wo wir es nicht vermuten, tritt er uns an die Seite. Schickt uns liebende Menschen, die uns Trösten, Freunde die uns helfen, und verläßt uns auch nicht, wenn uns alle anderen verlassen haben. Dafür danken wir ihm und lobsingen seinem Namen in Ewigkeit.

 

Kanzel-segen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.