Gottesdienst in Herrsching am Altjahresabend 1999

Ja rennt nur nach dem Glück ...

Predigt
 

Exordium
Predigttext

Liebe Gemeinde,

suchte man eine moderne Zusammenfassung unseres Predigttextes, so würde man bei Bert Brecht fündig:

Ja renn nur nach dem Glück, doch renne nicht zu sehr, denn alle rennen nach dem Glück, das Glück läuft hinterher.

Beim Propheten Jesaja lesen wir:

Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht und sprecht: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliehen, - darum werdet ihr dahinfliehen, und auf Rennern wollen wir reiten«, - darum werden euch eure Verfolger überrennen. Denn euer tausend werden fliehen vor eines einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrigbleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel.

 

Liebe Gemeinde,

nur wenige von uns reiten auf Pferden dahin, meistens sind es Blechmustangs die uns tragen. Das Auto ist zum Symbol der Geschwindigkeit geworden. Schnell und beweglich trägt es von Ort zu Ort. 

Narratio

Durch die Geschwindigkeit schrumpfen die Entfernungen. Nach München fahren, vor hundert Jahren war das eine kleine Reise. Dann kam die Eisenbahn. Die Reise schrumpfte zur Tagesreise. Heute liegt München vor der Haustür. Der schnelle Discobesuch, der Bummel durch die Fußgängerzone, alles ist nah, alles ist machbar. Unsere Welt hat sich beschleunigt. Die neueste Runde der Beschleunigung leitet das Internet ein. Wie das Auto und die Bahn erst von einer kleinen Gruppe benutzt, ist es dabei zum Massenmedium zu werden. Im Internet heißt die Geschwindigkeitsbegrenzung Bits per second. Die Technik schreitet voran, das endgültige Limit des Internets wird die Lichtgeschwindigkeit sein. In Bruchteilen von Sekunden trägt uns heute schon das Internet durch die Welt. Einmal shoppen in New York gefällig? Oder wollen Sie eine Bahnverbindung erfragen? Oder einfach mit einem Freund Briefe austauschen? Das Internet läßt die Entfernungen virtuell fast auf Null schrumpfen. Wenn ein elektronischer Brief länger als zwei Minuten nach Brasilien braucht, dann ist das ungewöhnlich.

Beschleunigung, sie geht einher mit einem Gewinn an Bequemlichkeit. Ein Gewinn an Bequemlichkeit den keiner von uns missen möchte. Denn Bequemlichkeit ist die angenehme Seite des Wohlstandes. Wir haben viel gewonnen in unserem Jahrhundert, noch viel mehr, wenn wir auf das ganze Jahrtausend blicken.

Argumen-tatio

Unser Predigttext wirkt da altmodisch fast archaisch. Kein Wunder. Mindestens 2500 Jahre ruht er bereits als heiliger Text in der Bibel. Er spricht von den Kosten der Beschleunigung, von den Kosten übersteigerten menschlichen Selbstvertrauens und von den Kraftquellen für echten Mut und Stärke. Wie die meisten Texte der Bibel ist er ein Evergreen. Seine Weisheit ist überzeitlich. Denn ob wir auf Pferden dahineilen, oder in Kutschen sitzen, in Autos brausen oder auf dem Datenhighway die Welt durchsurfen, das ist letztlich egal. Wir eilen dahin, seit Jahrtausenden. Und die Gefahr ist, daß wir in der Geschwindigkeit die Langsamkeit verlernen.

Unzälige Beulen an den Leitplanken Autobahnausfahrten erzählen davon. Das Auge paßt sich der Geschwindigkeit an. Auf der Autobahn 160 fahren? Nach einer Weile kommt es uns wie fünfzig vor. Das Auge hat sich an die Geschwindigkeit angepaßt. Es kommt die Ausfahrt. Der Fahrer geht vom Gas bremst ein wenig, wir haben das Gefühl Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Als Kind wollte ich an einer solchen Ausfahrt einmal aussteigen, schließlich fuhr das Auto kaum noch, dachte ich. Meine Mutter hielt mich natürlich sofort zurück. Sechzig Stundenkilometer standen am Tacho.

Die Gefahr in der Geschwindigkeit liegt im Verlernen der Langsamkeit. Wenn wir von Termin zu Termin hüpfen. Wenn Ruhe und Muße Fremdwörter werden, wenn wir verlernt haben inne zu halten, dann zahlen wir den Preis. Wir kommen unter die Räder. Manchem geht es vor Weihnachten so. Schnell muß alles mögliche erledigt werden. Einkaufen für die Feiertage, denn dann schließen die Geschäfte, ein Geschenk für Tante Friede, der Christbaum steht auch noch nicht, sie kennen das, es ist kaum zwei Wochen her. Und irgendwann im Trubel wird es leer in einem. In all der Hektik verläßt einem der Mut. Wird man es schaffen? Sind all die Belastungen auszuhalten? Hat das alles überhaupt einen Sinn?

Ausgebrannt fühlen wir uns dann. Oder um einen Modebegriff zu verwenden. Der Burn Out steht bevor. In Japan haben inzwischen einige Familien sich hunderttausende Yen Schmerzensgeld erstritten, weil sich die Familienväter für ihre Firmen totgearbeitet haben. Das ist kein Scherz. Die Väter haben sich im wahrsten Sinne des Wortes tot gearbeitet.

Beschleunigung, Geschwindigkeit ihre Rückseite ist die Mutlosigkeit, der Burn Out für manche Arbeitsextremisten der Tod.

Wo ist der Ausweg aus den Schattenseiten der Beschleunigung? Wo ist die Antwort auf unsere Frag nach dem Sinn?

Der Prophet Jesaja weist die Richtung:

Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

In der Ruhe liegt die Kraft. Stärke durch Meditation. Weisheit durch Bibellektüre und Besinnung. Ist das die Antwort? Eine ganze Industrie speist sich inzwischen aus dem Bedürfnis der Menschen nach Ruhe und Besinnung. Da sind unzählige Büchlein mit bunten meditativen Bildern und besinnlichen Texten dazu. Da gibt es Yoga- und Meditationskurse in jeder Volkshochschule. In frommen Kreisen wird die tägliche Bibellektüre empfohlen Ist das die Antwort auf die Ruhelosigkeit unserer Zeit? Einen guten Vorsatz mehr. Z.B.: Nächstes Jahr werde ich mir mehr Zeit für mich nehmen. Täglich einen langen Spaziergang machen oder in der Bibel lesen. Oder wie auch immer ihr Vorsatz aussehen mag.

Ein kluger Mann sprach einmal: Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen. Auch der beste Vorsatz, z.B. zum täglichen Innehalten, kann einem zur Hölle werden, wenn er Pflicht ist. Wenn er einen peinigt mit seiner Anforderung. Und spätestens nach zwei Wochen plagen einen dann die Schuldgefühle, weil man den Vorsatz nicht halten konnte. Wo ist dann die Antwort auf die Beschleunigung der Zeit?

Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

Wenn ihr umkehrtet. Luther schrieb einmal: Euer täglich Leben sei eine Buße. Täglich müsse man den alten Adam ersäufen, täglich umkehren. Umkehr ist eine Lebenshaltung. In der Lebenshaltung der Umkehr liegt die Weisheit verborgen, das Gott mehr mit uns will, als wir gerade sind. Wer umkehrt weiß, das die Sünde, daß das Böse in ihm lauert, er weiß aber auch, daß ihm alles schlechten in der Welt letztlich nichts mehr anhaben kann. Nichts kann uns von der Liebe und der vergebenden Kraft Gottes trennen, nicht einmal unser eigenes Versagen. Wer in der Lebenshaltung der Umkehr lebt, der lebt im Vertrauen auf die Kraft Gottes, der weiß, daß seine Kraft begrenzt ist, die Liebe Gottes jedoch in Ewigkeit bleibt. Gott selbst ist die Kraftquelle in unserem Leben. Er ist das in der Hektik und in der Ruhe, er ist es in Aktion und Kontemplation. Nur wir Menschen tun uns leichter Gottes Kraft zu spüren in der Ruhe. In der Verlangsamung merken wir plötzlich, daß da mehr ist als unser Tun. Daß wir getragen sind vom leichten säuseln der heiligen Geistes. Deshalb ist es nicht verkehrt Yogakurse zu machen oder täglich in der Bibel zu lesen. Die Wohltaten dieser Übungen verkehren sich nur, wenn sie uns zum Gesetz werden, wenn wir ungnädig mit uns selbst umgehen. Es tut gut sich in Langsamkeit einzuüben, es tut besser Gnade an sich selbst walten zu lassen. Vergessen sie gute Vorsätze, der beste Vorsatz ist die Gnade die Gott uns schenkt auch sich selbst gegenüber walten zu lassen. Und dann gelingt aus dieser Lebenshaltung der Gnade aus dieser Haltung der Umkehr plötzlich die Veränderung wie von selbst. Gott verändern uns, wenn wir uns auf ihn einlassen. In der Hoffnung und im Vertrauen auf Gottes Kraft liegt die eigentliche Kraft der Welt.

Und die Zeit? Die Geschwindigkeit, die Beschleunigung unserer Welt? Wie schon gesagt, an sich ist gegen Geschwindigkeit nichts zu sagen, sie ist eine Quelle des Wohlstandes. Eine Prinzipielle Entschleunigung – wie das Modewort heißt - hieße Abschiednehmen von vielen Bequemlichkeiten, die wir heute genießen. Hieße Abschiednehmen vom Wohlstand unserer Zeit. Entschleunigung ist nicht die Lösung, sondern immer wieder Innezuhalten und auf Gott zu vertrauen. Die Lebenshaltung der Umkehr und des Vertrauens einzunehmen und den Dingen ihre Zeit zu lassen. Schnelligkeit für schnelle Dinge, Langsamkeit für langsame Dinge.

Peroratio

Denn alles hat seine Zeit. Seine eigene Zeit. In der Chemie spricht man von der Prozeßzeit. Jeder chemische Prozeß braucht eine bestimmt Zeit um abzulaufen. Auch die Prozesse in unserem Leben haben ihre Zeit. Es gibt Zeiten der Hektik und Zeiten der Ruhe. Es gibt Zeiten anzupacken und Zeiten loszulassen. Es gibt Zeiten der Aktion und der Kontemplation.

Und all unsere Zeit ist letztlich Aufgehoben in der Ewigkeit Gottes. Er steht über der Zeit, er ist bei uns in der Zeit und er trägt uns durch die Zeit.

Kanzelsegen

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.