Von Bäumen, kleinen Kindern, Gott und dem Bösen

Predigt am Buß- und Bettag 1999 in Herrsching zu Matthäus 12,33-35

Liebe Gemeinde,

es ist ein deutlicher, nein eigentlich fast ein brutaler Text, den ich ihnen heute predigen soll. Schlangenbrut schimpft Jesus seine Gegner. Ein heftiges Schimpfwort. Im ähnlich starkes Wort wäre im Englischen "Son of a bitch" oder im Deutschen der Begriff Hurensohn. Und damit nicht genug: Kann denn ein schlechter Baum eine gute Frucht hervorbringen? Fragt er. Die Antwort ist Nein. Schlechte Bäume bringen schlechte Früchte und da ihr schlecht seit, ruft er seinen Gegnern zu, könnt ihr nichts wahres sagen. Alles was ihr hervorbringt ist schlecht. Das hat gesessen. Der Streit treibt damit dem Höhepunkt entgegen. Als nächstes werden sie von Jesus Beweise fordern, ein Wunder z.B. und natürlich wird er dies ablehnen.

Jesus streitet sich also mal wieder. Für uns ist das nichts neues. Die Evangelien sind voll von Streitgesprächen Jesu. Mal geht es gegen die Pharisäer, mal gegen die Schriftgelehrten. Wobei Pharisäer und Schriftgelehrte bei Matthäus fast ein geflügeltes Wort darstellen und mit den echten pharisäischen Juden und den echten Schriftgelehrten wenig zu tun haben. Wenn wir in der Bibel von Pharisäern und Schriftgelehrten hören, so sind das Typen für Geisteshaltungen. So wie wir heute gerne Witze über Beamte machen und doch genau wissen, daß dies mit echten Beamten wenig zu tun hat.Aber weiter im Text. Jesus streitet und zumeist ist der Streit heftig und Jesus alles andere als auf den Mund gefallen. Und wir als Leser und Hörer dieser Streitgespräche können uns vergnügt zurücklehnen, ein süffisantes Lächeln aufsetzen und uns über die Wortgewandtheit Jesu freuen. Doch bei diesem Text, noch dazu am Buß und Bettag vorgelesen, ist mir das Lächeln schnell vergangen. Schlechte Bäume bringen schlechte Früchte und gute Bäume gute Früchte hervor. Was soll das denn heißen? Heißt das, wenn ich etwas böses tue bin ich ein schlechter Baum und habe gar keine Chance etwas Gutes zu tun. Bin einfach verworfen, aussichtslos verloren in meiner eigenen Boshaftigkeit? Oder andersherum, bin ich einfach ein guter Baum, kann nichts falsch machen, schließlich bringt ein guter Baum gute Früchte. Schön wär's, aber wenn ich realistisch mein Leben anschaue, dann fällt mir da mehr als eine faule Frucht auf. Also das kann es auch nicht sein.Worum geht es dann. Lassen Sie mich eine kleine Geschichte erzählen um das Rätselwort vom Baum zu entschlüsseln. Es ist die Geschichte von Marlies. Marlies ist fünf Jahre alt. Sie ist allein im Wohnzimmer. Ihre Mutter ist im Nebenraum, hinter ihr spielt ihre kleine Schwester Petra, die gerade drei Jahre alt ist.. Da sieht sie ihn. Den großen Ficus Benjamina. Streng haben ihr ihre Eltern verboten den Gummibaum anzurühren. Doch groß und verlockend steht er vor ihr. Sie wollte schon immer einmal wissen wie es ist, wenn sie ihn umwirft. Einfach einen Ast packen und so fest daran ziehen, daß der ganze Baum umkippt. Vor ihr also die grüne Verlockung, hinter ihr die kleine Schwester. Da entsteht in ihr ein diabolischer Plan. Entschlossen greift sie nach dem nächsten Ast, zieht daran, der Baum wackelt. Sie zeiht fester, der Baum schwankt heftig hin und her. Dann gibt sie ihm den Rest. Mit aller Kraft reißt sie am Ast und Baum kippt. Schnell springt sie zur Seite und Beobachtet fasziniert, wie der Baum auf dem Boden aufschlägt. Erdbrocken kullern aus dem Blumentopf und verteilen sich auf dem ganzen Teppich. Fasziniert schaut sie zu, eine tiefe Befriedigung erfüllt sie. Doch schnell, der Plan ist noch nicht vollendet. Marlies dreht sich um, läuft aus dem Raum zu ihrer Mutter. "Mama, Mama", schreit sie, "Petra hat den Baum umgeworfen." Für eine kurze Schrecksekunde erstarrt die Mutter. Dann rennt sie hinüber und Marlies hört durch die Wände ein furchtbares

Donnerwetter über Petra hereinbrechen. Plötzlich wird es ruhig. Die Mutter kommt zurück. Hinter ihr Petra. "Marlies", fragt sie, "Petra sagt du hast den Baum umgeworfen." Marlies verneint: "Petra war's ich hab's genau gesehen." Doch die Mutter läßt nicht locker. Nach zehn Minuten hat sich Marlies so in Lügen verstrickt, daß jede weiter Lüge aussichtslos ist. Sie gibt den Betrug zu. "Ja ich war es." sagt sie und senkt den Kopf. Sie wartet auf das was kommt. "Bestimmt wirft sie mich jetzt aus dem Haus, oder schlägt mich oder macht es passiert sonst etwas furchtbares, denkt sie und wartet. Und sie wartet nicht umsonst. Natürlich schimpft ihre Mutter, macht ihr Vorwürfe und erklärt Marlies wie gemein und hinterlistig ihre Tat war. Und Marlies ist ja nicht dumm. Längst bereut sie, daß sie den Baum umgeworfen hat und ihre Schwester bezichtigte. Aber es ist zu spät denkt sie und wartet auf das schreckliche Ende. Und zum Ende kommt ihre Mutter jetzt: "Versprichst Du mir, daß du so was nie wieder tust", fragt sie. Marlies nickt und wartet. Die Mutter ist irritiert. "Worauf wartest Du denn", fragt sie. "Daß du mich rauswirfst". Da lacht die Mutter. "Na so schlimm ist es auch nicht. Du entschuldigst dich jetzt bei deiner Schwester. Und danach holst du den Staubsauger und wir beseitigen zusammen die Sauerei." Erleichtert läuft Marlies los und tut was ihre Mutter gesagt hat.

Soweit die Geschichte von Marlies und dem Baum. Sie werden sich jetzt wahrscheinlich fragen was ein Ficus Benjamina mit dem Rästelwort von Jesus zu tun hat. Nun das in beiden Geschichten ein Baum vorkommt ist Zufall. Doch wie die Geschichte von Marlies abläuft kann uns viel über uns selbst und über unsere Beziehung zu Gott erzählen. Marlies Plan war diabolisch. Ihre Tat war schlecht, ihre Absichten ebenso. Und ehrlich gesagt, wenn wir in unser Leben schauen werden wir auch genug Bosheit, schlechte Taten und Abgründe finden, die sich in uns auftun. Da ist die Lust an der Überlegenheit. Den Schwächeren einfach spüren lassen, daß er schwächer ist. Kinder zeigen dies offen. Da wird eben am Pausenhof der Arm kurz umgedreht. Bei Erwachsenen geschieht dies verdeckter. Z.B. mal eben eine kleine Bemerkung beim Chef, daß der Kollege seine Arbeit wiedermal nicht fertig bekommen hat. Der kriegt ja schließlich nie was auf die Reihe.Oder nehmen sie eine andere Spielart des Bösen in uns.

Das Wegschauen. Was geht es mich an, wenn meinem Klassenkameraden der Arm verdreht wird, der wird's schon verdient haben. Was geht es mich an, wenn der Chef meinen Kollegen zusammenstaucht. Nagut es war mein Fehler den der Kollege gerade büßt. Aber Pst, das muß der Chef ja nicht unbedingt wissen.Also an Bosheit stehen wir hinter Marlies nicht zurück. Und wenn sie sich dann überlegen, daß Gott all unsere kleinen und großen Bosheiten mitbekommt, daß er genau sieht, was wir tun. Wenn sie überlegen, daß er durch unsere Hochglanzoberfläche durchblicken kann und die Abgründe kennt, die sich dahinter auftun, dann kann es einem ganz schön bang werden. Welche Strafe wird uns am Ende erwarten? Welche Rechnung wird uns Gott im jüngsten Gericht präsentieren? Stumm werden wir dastehen wie Marlies und auf die furchtbare Strafe warten. Für Marlies kam dann die Überraschung. Obwohl sie doch etwas so böses getan hat, war die Strafe überaus mild. Eigentlich war es gar keine Strafe, sie mußte nur die Folgen ihrer bösen Tat auf sich nehmen und so gut es geht beseitigen. Letztlich hat ihr die Mutter verziehen. Was für eine Überraschung werden sie ironisch denken. Natürlich verzeiht eine Mutter einem Kleinkind. ? Sie haben recht, natürlich verzeiht eine Mutter ihrem Kind, daß seine böse Tat bereut. Und unser himmlischer Vater? Wahrscheinlich kommen wir Gott manchmal auch wie Kleinkinder vor, die ihren kindischen Spiele treiben. Ihr kleinlichen, kindischen und doch oft so boshaften Spiele. Und wie eine Mutter ihrem Kind immer wieder vergibt, so vergibt Gott uns.Warum eigentlich? Warum vergeben Eltern ihren Kindern eigentlich immer wieder?Die Wahrheit darüber entdecken wir, wenn wir das Gegenteil betrachten. Wenn wir bedenken, wann Eltern ihren Kindern nicht mehr vergeben und wann Kinder ihren Eltern nicht mehr vergeben können. Dies ist dann der Fall, wenn die Beziehung zwischen den Generationen zerbrochen ist. Wenn das Gefühl der Verbundenheit fehlt und dem Gefühl des Hasses oder der Gleichgültigkeit gewichen ist. Dann, wenn die Beziehung verloren ist, verlieren wir auch die Fähigkeit einander zu vergeben.Und Gott. Für ihn gilt das gleiche im übertragenen Sinne. Wenn wir zu ihm in Beziehung stehen, im Christentum nennt man dies schlicht Glauben. Wenn wir also glauben, dann ist Gott bereit uns alles zu vergeben was wir böses getan haben. Vorausgesetzt natürlich, daß wir unsere Bosheit bereuen.Und damit gewinnt das Bild vom Baum und seinen Früchten eine ganz andere Bedeutung, als es am Anfang schien. Wir sind allesamt Bäume, die auch schlechte Früchte hervorbringen. Doch in Beziehung zu Gott, der das Gute schlechthin ist, werden wir zu guten Bäumen, egal wie schlecht wir vorher waren. Und als guter Baum können wir auch gute Früchte hervorbringen. Gott ist es also, der letztlich unsere guten Früchte hervorbringt, so wie die Mutter Marlies angeleitet hat das geschehene Unrecht wieder gut zu machen. Letztlich wurde so aus der schlechten Tat eine gute Lehre für das Kind.

Und wer weiß, vielleicht finden durch Gott die Kraft und den Willen, daß nächste Mal nicht wegzusehen, wenn einem Schulkamaraden der Arm umgedreht wird, oder wenn im Büro andere unsere Fehler büßen müssen. Ein erster Weg die Kraft hierfür zu finden ist selbst Buße zu tun, hier und heute, am Buß? und Bettag.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.