Herrsching am Reformationstag 1999

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Die Zukunft der Ökumene

Predigt
 

Exordium

Liebe Gemeinde,

heute ist ein historischer Tag. Heute wird die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre in Augsburg unterzeichnet. Ein Papier also, zu jenem theologischen Streitpunkt, der vor vierhundert Jahren zur Kirchentrennung führte. Ein historischer Augenblick, die große theologische Kontroverse zwischen den lutherischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche scheint zu Ende zu sein. Manche sehen am Horizont schon die Wiedervereinigung aufleuchten.

 

Narratio

Da erscheint unser heutiger Predigttext als sperrig. Heute, wo wir in Feierstimmung sein sollten, ermahnt er uns vor der Welt deutlich Zeugnis abzulegen. Vor aller Welt und damit auch vor den Katholiken sollen wir uns zu Jesus Christus und seiner Wahrheit bekennen. Und es ist eine einfache und klare Wahrheit, die wir von den Dächern predigen sollen: Jesus Christus ist für uns gestorben und auferstanden. Damit wir gerettet werden. Denn diese Welt ist nicht gut. Menschen töten Menschen, Kinder werden mißbraucht, manch sadistischer Chef unterdrückt seine Angestellten, Frauen und Männer werden mißhandelt und gefoltert. Ein Blick in unsere Zeitungen und das ganze Elend der Welt steht uns vor Augen. Ein tiefer Blick in unser Leben und wir erkennen, daß auch wir oft unfähig sind zum Guten. Daß wir oft stillhalten, wo wir helfen sollten und wenn wir handeln, wollen wir oft das Gute und das Böse kommt heraus.

Aus all diesem Elend rettet uns Christus. Er hat all die Bosheit der Welt durchlebt, wurde angeklagt, unschuldig verurteilt, geschlagen und grausam ermordet. Und am dritten Tage brach er die Macht des Bösen. Der Tod ist nicht das Ende. Gottes kreative Kraft ist stärker. 

Wenn wir nun Christus vertrauen, so wie ein Kind seinen Eltern vertraut, wenn wir an Gott und Jesus Christus glauben, so bekommen wir Anteil an Gottes lebensfördernder Kraft. Und all unsere Bosheit, so hat es uns Gott versprochen, wird uns nicht angerechnet, wenn wir uns ihm anvertrauen.

Martin Luther hat diese einfache Erkenntnis in vier lateinischen Begriffen zusammengefaßt: solus Christus, allein Christus. Niemand auf der Welt kann uns retten als Gott selbst, durch seinen Sohn.

Sola gratia. Allein aus Gnade. Es ist Gottes freie Entscheidung, daß er sich uns zuwendet. Wir haben dazu nichts beigetragen. Allein aus Gnade schenkt uns Gott sein Wohlwollen.

Sola fidei. Allein aus Glaube. Das Wichtigste, so erkannte Luther ist die Beziehung zu Gott, wenn wir aus dieser Beziehung leben, wenn wir Gott glauben, wenn wir an Gott glauben, dann sind wir gerettet auch vor uns selbst, vor unserer eignen Bosheit.

Und zuletzt: Martin Luther erkannte dies alles indem er in der Bibel las. Er erkannte in der Bibel die befreiende Kraft Gottes. Und er wunderte sich, wie es seien Zeitgenossen gelingen konnte aus der befreienden Kraft Gottes ihren Mitmenschen ein Gefängnis der Angst zu zimmern. Anstatt darauf zu schauen, wie uns Jesus befreit hat, machten sie ihren Mitmenschen Angst vor dem Zorn Gottes. Darum gab Martin Luther der Kirche ein viertes Prinzip mit auf den Weg: sola scriptura. Allein die Schrift. Und er rief seinen Zuhörern und Zuhörerinnen damit zu: Lest die Bibel. Macht Euch selbst ein Bild und vertraut nicht einfach blind auf den Klerus. Was ein Bischof erzählt ist auch nicht mehr wert als Eure eigenen Erkenntnisse. Und wenn Euer Pfarrer am Sonntag gegen die Bibel predigt und aus dem barmherzigen Gott einen Rächer macht, dann kritisiert ihn, im Notfall entfernt ihn. Denn all die Pfarrer, Bischöfe und Päpste sind für Euch da. In ihrer Predigt dienen sie Euch, indem sie die Bibel auslegen, aber Eure Aufgabe ist es sie zu korrigieren, wenn sie in ihren Auslegungen irren. Sola scriptura.

Auf diesen vier Säulen ruht unsere Kirche. Sie sind eine Wahrheitserkenntnis, hinter die keine evangelische Kirche jemals zurück kann.

Die ersten drei Säulen fassen wir Theologen mit einem Schlagwort zusammen: Rechtfertigungslehre. Allein durch Christus rettet uns Gott. Allein aus Glaube können wir unsere Bosheit und die der Welt überwinden. Allein aus Gnade sandte uns Gott seinen Sohn und schenkt uns, die wir glauben, sein Wohlwollen.

 

Argumentatio

Und darin sind wir uns jetzt mit den Katholiken einig? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares Jein. Einerseits ja. In der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, jenem Papier, das heute in Augsburg unterzeichnet wird. In der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre sind uns die Katholiken weit entgegen gekommen. Nur leider ist diese Erklärung so kompliziert geschrieben, daß man schon Theologie studiert haben sollte, um sie überhaupt zu verstehen. Komplizierte Formelkompromisse reihen sich aneinander und nur die Fachfrau wird die Feinheiten erkennen. Und obwohl ich ein solcher Fachmann bin will ich sie jetzt nicht mit einem Vortrag über die Feinheiten quälen. Denn wollte ich dem Papier gerecht werden, so müßte ich jetzt mindestens ein bis zwei Stunden darüber reden, was ich Ihnen und mir nicht zumuten will.

Darum lassen Sie mich einen Schritt tiefer gehen. Und die schwere Verständlichkeit des Dokuments deuten. In mir ist in den letzten Wochen der Verdacht gewachsen, daß die komplizierte Sprache dieses Dokuments eines verhindern soll: Nämlich das dieses Dokument Folgen hat. Denn die volle Annahme der Rechtfertigungslehre hätte für die römisch-katholische Kirche gravierende Folgen. Z.B. für den Kult um Maria und die Heiligen. Maria Mutter Gottes bitte für uns, beten Millionen Katholiken im Rosenkranz. Wir dagegen sagen: Allein durch Christus kommt das Heil. Kein anderer kann es uns vermitteln oder für uns eintreten. Rechtfertigung recht verstanden hieße also Schluß mit Marienverehrung und Heiligenkult. Die offizielle Theologie der römisch-katholischen Kirche würde dies wohl verkraften, im Volk jedoch gäbe es einen Aufschrei.

Darum lassen Sie uns schwerere Geschütze auffahren. Rechtfertigung aus Glauben heißt, daß jeder Mensch, der an Gott glaubt, durch seinen Glauben vor Gott gerecht wird. Direkt und ohne Vermittlung durch andere Menschen. Gott macht gerecht und nicht die Kirche. Und damit kommen wir zu dem eigentliche Problem der Ökumene. An jenen Punkt, der die Kirchen wirklich trennt und ich fürchte auch noch einige Jahrzehnte wahrscheinlich Jahrhunderte trennen wird. Die Frage nach der Aufgabe und dem Wesen der Kirche. Nach protestantischer Lehre steht jeder Mensch in direkter Beziehung zu Gott. Die Amtskirche, d.h. die Pfarrer und Bischöfe haben dabei die Aufgabe ihren Gemeindegliedern von Gott zu erzählen, schlicht richtig zu predigen. Hinzu kommt, daß die Pfarrer und Pfarrerinnen die Sakramente richtig spenden. Darin besteht die Aufgabe der Amtskirche. Richtig zu predigen und die Sakramente recht zu verwalten.

Ganz anders auf katholischer Seite. Der Priester ist durch seine Priesterweihe ein anderer Mensch geworden. Er ist nicht mehr schnöder Laie, sondern Priester. Nur er kann das Abendmahl einzusetzen. Nur durch seine Vermittlung kann das Heil Gottes zu den Menschen kommen. Denn die römisch-katholische Kirche sieht sich selbst als Verwalter des Heiles Gottes. Darum ist auch nur sie eine Kirche. Indirekt aber für den Fachmann deutlich steht dies auch in dem heute zu unterzeichnenden Papier. Für den Vatikan sind die lutherischen Kirchen keine Kirchen. Man sieht uns als Dialogpartner an, aber den Begriff Kirche hat der Vatikan für sich selbst reserviert.

Überspitzt läßt sich das römisch-katholische Kirchenverständnis so zusammenfassen: Die Kirche ist die Amtskirche. Die Laien kommen zwar seit vierzig Jahren in der katholischen Kirche vermehrt zum Zug, jedoch bleibt die für viele katholische Laien frustierende Erfahrung, daß letztlich nur das Wort des Priester zählt. Denn die Amtskirche legt fest, was richtig ist. Das Lehramt, also der Papst und die Bischöfe interpretieren die Bibel und legen fest, was darin göttliche Wahrheit ist. Im Notfall kann dies auch der unfehlbare Papst alleine tun.

Nähme die römisch-katholische Kirche ernst, was sie heute unterschreibt, müßte sie damit Schluß machen. Die Trennung zwischen Priester und Laien müßte fallen. Allerdings sollten wir uns im Klaren sein, daß dies zur Zeit der Grundpfeiler der katholischen Kirche ist. Wenn die Trennung zwischen Priestern und Laien fällt, dann wird die katholische Kirche zu einer evangelischen und der Wiedervereinigung stünde kaum mehr etwas im Weg.

Auch nicht der Papst z.B. Warum sollten wir Evangelische nicht den Bischof von Rom als Repräsentant der westliche Kirche anerkennen. Warum soll er nicht den Titel Papst führen? Damit hätten ich kein Problem. Nur seine Unfehlbarkeit, die müßte er ablegen. Auch Stellvertreter Christi auf Erden würde ihn keiner mehr nennen. Er wäre schlicht der Papst, ein Bischof, der die Kirche nach außen vertritt.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Einen Schritt zur Ökumene gehen wir heute in Augsburg. Es ist ein guter Schritt. Trotz all meiner kritischen Anmerkungen, denke ich, daß uns der heutige Tag einen Schritt voranbringt zum großen Ziel der Einigkeit. 

Peroratio

Optimistisch stimmen mich die dabei die letzten Jahrhunderte. Denn Stück für Stück wurden die Forderungen der Reformation in der römisch-katholischen Kirche umgesetzt. Lassen Sie es mich in aller Kürze und in Stichworten skizzieren:

Erstens Ablaßhandel. Wenige Jahrzehnte nach der Reformation eingestellt.

Zweitens: Verbesserte Ausbildung der Pfarrer. Im ersten Jahrhundert nach der Reformation schrittweise verwirklicht.

Drittens: Gottesdienst in der Landessprache. Wurde nach 1965 weltweit eingeführt.

Viertens: Beteiligung der Laien bei der Messe. Ebenfalls zweites Vaticanum 1962 bis 65.

Fünftens: Anerkennung der Rechtfertigungslehre. 31.10.1999 in Augsburg.

Sechstens: Aufhebung des Pflichtzölibats. Vielleicht 2020?

Siebtens: Priestertum der Frau. Vielleicht 2050?

Achtens: Aufhebung der Unfehlbarkeit des Papstes und der Trennung zwischen Priestern und Laien. Vielleicht 2099.

Gleichzeitig lernen die lutherischen Kirchen vieles von ihren katholischen Gegenüber. Der Schwarze Talar verschwindet, das weiße Gewand wird zur Norm. Die Zersplitterung der Lutheraner in 120 Kirchen wird beendet und der Lutherische Weltbund zur schlagkräftigen Zentrale, und vieles mehr.

Und dann neuntens, am 01.01.2100 folgt die große Erklärung: Wir sind wieder eins. Fast sechshundert Jahre Kirchentrennung finden eine Ende.
 
 

 

Kanzelsegen

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

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